Die Angst vor digitalen Lösungen

Der schwierige Kampf der IT gegen Corona

 von Frank Eiffert, Oktober 2020

Oktober 2020, ein mexikanisches Restaurant in Baden-Württemberg. Der Laden ist gut gefüllt. Viele junge Leute sitzen an den Tischen und genießen Burger und Enchiladas. Corona? Kann sein. Neue Gäste kommen mit Masken in den Laden. Ja, es ist immer noch Corona. Oder schlimmer als zuvor? Wer liest noch die Statistiken. Ist doch alles wieder normal. So will es der Bürger immer mehr sehen und auch nichts mehr hören von Tod, Gefahr und Seuchen. Außerdem geht die Wirtschaft den Bach runter. Jemanden, der an Corona gestorben ist, kenne ich nicht, aber ich kenne viele Menschen, die bereits wegen Corona ihren Job verloren haben.

Die Kellnerin legt als erstes einen Zettel und einen Stift auf den Tisch. Achja, Kundendatenerfassung. Den Stift hat sie vom Nachbartisch genommen, ist der wirklich sauber? Ich meine, wenn schon, dann sollte das doch so sein, oder? Wo denn die QR Codes für die App seien, die sie vor 4 Wochen noch auf den Tischen liegen hatten, frage ich. „Der Kunde hat das abgelehnt, außerdem hat es nicht richtig funktioniert. Und viele Kunden haben kein Handy, mit dem das geht…“ Ich schaue mich erneut um. Das Durchschnittsalter liegt bei gefühlten 28 Jahren, klar, ist ja auch eine Studentenstadt und die Hochschule ist nur wenige 100 Meter entfernt. Jeder, der nicht isst oder ins Gespräch vertieft ist, schaut auf sein Handy oder hat es neben sich auf dem Tisch liegen. Wieso wird dann eine digitale Lösung abgelehnt?

Ich fülle den Zettel aus, mein Kollege auch. „Du hast deinen Vornamen nicht reingeschrieben.“ Das sei nicht wichtig, meint er. Die Felder sind winzig. Meine email-Adresse passt nicht. Handynummer? – Muss ja. – Unterschrift? No way! Ich mache wie immer eine Paraphe. Später beim Bezahlen unterschreibe ich natürlich den Kreditkartenbeleg ohne nachzudenken. Wo ist der Unterschied?

Das Essen kommt, ich frage nochmal die Kellnerin. Ob das nicht aufwändig und lästig sei mit den Zetteln, möchte ich wissen. Doch, schon, sagt sie, aber der Chef wolle trotzdem keine digitale Lösung. Der Grund bleibt wie so oft im Dunkeln.

Warum hat der deutsche Gastronom eine solche Abneigung gegen eine digitale Lösung für die Kundendatenerfassung? Was spricht dagegen? Lösungen gibt es zu Hauf. Die erste erschien gefühlt Wochen nach der ersten Verordnung. Es gibt kostenlose Lösungen mit geringem Leistungsumfang und durchdachte Lösungen mit vielen guten Features, und trotzdem sehe ich kaum eine davon im Einsatz. Ich denke, der Chef in diesem mexikanischen Restaurant ist in guter Gesellschaft.

Die Angst vor der Technik.

Für einen ITler wie mich ist es undenkbar, dass der Mensch von heute sein Smartphone nicht bedienen kann. Aber das ist nicht die Realität. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nutzt das Handy fast ausschließlich für die Main Stream Services, alles andere liegt brach. Was man nicht versteht, kann man nicht beherrschen und was man nicht beherrscht macht einem Angst. Und die Angst kann nur durch Vertrauen und Glauben eingedämmt werden.

Haben wir Vertrauen, dass unsere Daten im Internet sicher sind? Glauben wir an die Sicherheit der Technik von heute? In den letzten 10 Jahren sind die Nachrichten voll von Wikileaks-Berichten, Datenklau und geschürter Angst vor Datendiebstahl. Ein Korrektiv sollte die DSGVO werden, die aber so komplex ist und so viel Aufwand für Unternehmen erzeugt hat, dass sie genau das Gegenteil von dem bewirkt hat, was sie bewirken sollte: die Angst und das Misstrauen in die Datensicherheit sind gestiegen, anstatt zu sinken. Und was macht der normale Bürger dann? Er folgt der Herde. Er entwickelt Vertrauen auf Grund des Verhaltens der Masse. Und entfernt sich zunehmend weiter von logischem Verhalten. WhatsApp und Google Maps nutzt die ganze Welt, wieso sollte ich das nicht auch so machen? Ich habe doch so viele Vorteile davon. Dass ich damit so viele Daten von mir öffentlich mache, dass es damit de facto weder eine Corona-App noch Lösungen für die digitale Kundendatenerfassung braucht, versteht der normale Mensch nicht. Die Daten sind schon in der Cloud, doch niemand darf sie nutzen. Das ist Datenschutz. Und das ist auch gut so, denkt der Bürger, und versteht erneut nicht, dass er aus Unverständnis und fehlendem Vertrauen mit zweierlei Maß misst.

Der gefühlte Datenschutz

Münsterland, im August. Ein schöner Sommertag, wir essen zu Abend in einem Waldrestaurant, auf der Terrasse. Auch hier Zettel. Nach dem Essen drehen wir noch eine Runde am Flüsschen und sind nach 45 Minuten wieder am Restaurant. Ein Mann sitz an dem Tisch, an dem auch wir gesessen haben und schaut verträumt über sein Bierglas ins Nichts. Vor ihm liegt immer noch der von uns ausgefüllte Zettel mit unseren persönlichen Daten.

Ich spreche den Mann an, ob ich den Zettel nehmen dürfe. Er ist irritiert, fühlt sich angegriffen: „Ich mache nix mit deinen Daten, interessiert mich nicht, ich habe nicht mal drauf geschaut.“ – Ich bringe den Zettel ins Restaurant und spreche mit der Wirtin. – Wie das denn ginge, mit einer App? Sie taucht meinen Zettel in eine Bierpfütze, dort bleibt er liegen, bis ich gehe. Das Gespräch zeigt mir, dass sie nicht im Ansatz ein Verständnis für eine digitale Lösung hat. Aber Angst vor Datenklau im Internet. – „Ich lege die Zettel alle in einen Schuhkarton. Da kommt nix weg.“ Ich schaue mich um: es ist ein großer Laden mit vielen Tischen. Vor meinem geistigen Auge erscheint ein riesiger Schuhkarton voller durchweichter Zettel, die sich zu einem untrennbar verklebten Klotz verbunden haben. Ich verlasse kopfschüttelnd das Restaurant.

„Wenn meine Daten auf einem Zettel stehen, die der Wirt nach Wochen entsorgt, ist das sicherer, als wenn meine Daten im Internet durch die ganze Welt geistern.“ sagt mir tags drauf ein Freund beim Bier. Deshalb müssten die Lösungen ja besonders sicher sein, entgegne ich, und deshalb seien die gutgemeinten Schnellschüsse aus den ersten Corona-Tagen meines Erachtens auch nicht einzusetzen. Mit Argumenten komme ich auch heute Abend nicht weiter.

Wieso denken so viele Menschen in zwei Kategorien? Warum geben sie Daten über Social Media bereitwillig preis? Und gleichzeitig haben sie Angst vor neuen Lösungen, die wahrscheinlich besser durchdacht sind, als all die alten Plattformen? Ich denke, der gleiche Mechanismus greift auch hier wieder, denn wo ist der Unterschied zwischen Technik und Daten? Ist doch alles Internet, und das ist per seh unsicher, oder?

Das Alter, der Preis und die Hoffnung

Weitere Argumente, die mir immer wieder begegnen, wenn es um das Thema digitale Kundendatenerfassung geht, sind Preis und die Altersstruktur. Die Lösungen seinen zu teuer. Auch hier dominiert wieder das Bauchgefühl. 20 Euro im Monat? Da sind ja Handyverträge billiger! Achso, es geht auch erstmal kostenlos? Na, das kann ja nix sein!

Auch das Durchschnittsalter der Kundschaft wird angesprochen. „Ich habe fast nur Rentner als Gäste. Außerdem seid ihr doch wohl ein bisschen spät, mit eurer Lösung, oder?“ höre ich mir schon im Mai in einer italienischen Eisdiele an. Der wahre Grund für die komplette Ablehnung bleibt wie so oft im Dunkeln. Wahrscheinlich hofft dieser Mann auch, dass Corona schon bald vorbei ist. Heute, im Oktober, steigen die Zahlen rasend.

Aber Hoffnung auf ein Ende von Corona zu haben und nichts zu tun, außer zu warten, dass andere etwas tun, ist ein trauriges Verhalten. Corona bedeutet, sich den veränderten Lebensbedingungen zu stellen und aktiv daran mitzuarbeiten, die Pandemie zu überleben. Und dazu will ich beitragen, auch wenn es oft sehr schwierig ist.